Spurensuche

Unglaublich aber wahr, so war mir zu Mute, als ich vor dem Hotel „ Central“ in Tallinn stand. Hier war bis 1999 die einzige richtige Rennwagenschmiede hinter dem Eisernen Vorhang. Hier wurde also mit der Produktion von mehr als 1.000 Stück Rennwagen Jahrzehnte lang im Ostblock Geschichte geschrieben. Genau so erfolgreich wie die Engländer mit ihrer Produktion der legendären Lotus, wenn man die reinen Zahlen vergleicht.

Die ehemaligen Ingenieure und Mechaniker der Firma Estonia verbergen verschämt ihre Geschichte. Da kann man nur erstaunt fragen, wozu haben sich denn dann Ingenieure und Techniker abgeschuftet und für was haben die Fahrer jedes Mal ihr Leben riskiert, wenn man heute einfach davon nichts mehr wissen will.

Allein zu dem jedes Jahr veranstalteten „Estonia – Festival“ in Pärnu, dass eine Firmenpräsentation darstellen soll, waren 2008 ganze vier (4) Formelwagen aus den achtziger Jahren erschienen. Alle ehemaligen Spitzenfahrer wie Napa, Asmer, oder die zuletzt so erfolgreichen Kasankow und Potehin halten es für nicht so wichtig wenigstens einmal im Jahr präsent zu sein.

Eigentlich völlig unverständlich, weil die stolzen Esten immer und immer wieder an ihre Tradition und Geschichte erinnern. Hier beschleicht mich das ungute Gefühl, dass vielleicht schon in ein paar Jahren sich jemand aufmachen wird und nachfragt, was denn mit all den Dingen, die in den letzten fünfzig Jahren passiert sind, geworden ist. Auf meine Fragen bekam ich immer nur die eine ausweichende Antwort: Das ist schon so lange her, dass wissen wir nicht mehr.

Natürlich sind die Esten jetzt mit Recht stolz, dass sie die politische und wirtschaftliche Wende im Lande gemeistert haben. Besonders stolz sind sie auch, dass sie den Sprung vom Kurbeltelefon zum Handy ohne Probleme geschafft haben.

Nur eins haben sie noch nicht verstanden, dass in der ach so modernen Gesellschaft der Füllfederhalter neben dem Computer immer noch existiert und die schwarz-weiß Fotographie durch die digital Kamera immer noch nicht abgelöst wurde.

Wer in den Zeiten abflauender Interesse an allem, was nicht mit Geld verdienen zu tun hat, unterliegt, wird eines Tages bemerken, dass er nicht mehr weiß wo Oma und Opa abgeblieben sind. Wer in diesen Zeiten nicht sein ganzes Potential ausschöpft, ist eines Tages selber schuld, wenn seine Tradition verloren gegangen ist.

Denn eins steht fest wie das Amen in der Kirche: Die Gegenwart ist nichts ohne die Vergangenheit. Schön, wenn man eine hat und dazu hat mal ein schlauer Mensch gesagt: Die Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern dass Schüren der Flamme. Wie Recht der Mann doch hatte. Mich jedenfalls fragte jeder, den ich nach der Geschichte fragte: „Warum tun Sie das und was verdienen Sie damit.“ Eine für mich völlig unsinnige Frage. Und wenn ich dann die ehrliche Antwort gab, schüttelten alle ungläubig den Kopf. Für diesen Deutschen, der alles von damals wissen wollte, hatten sie nur ein mitleidiges Lächeln übrig.

An dieser Stelle mochte ich ganz herzlich bei Silva und Jan Franke bedanken. Ohne ihre voraus gegangenen Recherchen hätte ich dort in Tallinn und Pärnu total auf dem Trocknen gestanden. Nur diesen Beiden ist es zu verdanken, dass ich alle Termine und Orte rechtzeitig erreichen konnte.
Denn in Estland ist eben alles ein wenig anders, nicht nur, dass die Uhren eine Stunde vorgehen.

Im Namen der HAIGO
Stromhardt Kraft

Zwei einsame deutsche Spurensucher am Betriebsteil „2“ von Estonia. Außer der Startnummer 68 von Victor Kasankow und dem alten Firmenschild, ist nichts mehr von Estonia zusehen. Heute werden hier Treppen, Geländer und Bootsanhänger gebaut. Von den ehem. Estonia–Mitarbeitern ist keiner mehr dabei.

Zu Gast bei Raul Sarap, dem Konstrukteur des berühmten Estonia 21, von dem in zehn Jahren 295 Stück gebaut wurden. Mir zu liebe wurde Jägermeister getrunken, aber die Wodkaflasche lauert schon im Hintergrund

Jaak Kuul, HAIGO – Gastfahrer seit 2005, ließ es sich nicht nehmen, mich am Tallinn – Airport persönlich zu verabschieden. Silva und Jan traten die Heimreise per Achse an.

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